Stressreaktionen verstehen und spüren lernen (Polyvagal-Theorie)
Stressreaktionen sind tief in unserem Nervensystem verwurzelt und beeinflussen, wie wir auf bedrohliche oder herausfordernde Situationen reagieren. Diese Reaktionen sind evolutionär bedingt und dienen dem Schutz des Körpers. Die Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges hilft uns, diese Reaktionen besser zu verstehen. Es gibt vier grundlegende Stressreaktionen: Kampf, Flucht, Abkopplung (oder Einfrieren), und People Pleasing (oder Gefallen). Jede dieser Reaktionen hat spezifische Merkmale und Auswirkungen auf unseren Körper und unser Verhalten.
1. Stressreaktion „Kampf“
Die Kampf-Reaktion tritt ein, wenn das Nervensystem eine Bedrohung erkennt, der wir uns aktiv entgegenstellen möchten. Diese Reaktion ist durch Aggressivität, erhöhte Wachsamkeit und Anspannung gekennzeichnet. Der Körper bereitet sich darauf vor, gegen den wahrgenommenen Stressor zu kämpfen, was zu einer Erhöhung des Herzschlags, der Muskelanspannung und einer Flut von Adrenalin führt. Typische Verhaltensweisen können Reizbarkeit, Wutausbrüche und ein starker Wunsch sein, die Situation unter Kontrolle zu bringen.
- Physische Anzeichen: Erhöhter Puls, Muskelanspannung, Schweißausbrüche.
- Mentale Anzeichen: Wut, Frustration, ein Gefühl der Bedrohung.
2. Flucht-Reaktion
Die Flucht-Reaktion tritt auf, wenn das Nervensystem entscheidet, dass die beste Möglichkeit, mit der Bedrohung umzugehen, darin besteht, ihr zu entkommen. Diese Reaktion manifestiert sich in einem starken Drang, die Situation zu verlassen oder zu vermeiden. Der Körper ist darauf programmiert, so schnell wie möglich aus der Gefahrensituation zu fliehen, was zu erhöhter Herzfrequenz, einer schnelleren Atmung und gesteigerter Wachsamkeit führt.
- Physische Anzeichen: Schnelle Atmung, Zittern, weiche Knie.
- Mentale Anzeichen: Angst, Panik, ständiges Gedankenkreisen um Fluchtmöglichkeiten.
3. Stressreaktion der Abkopplung (Freeze oder Shutdown)
Die Abkopplungsreaktion, oft als „Freeze“ (Einfrieren) oder „Shutdown“ (Herunterfahren) bezeichnet, tritt auf, wenn weder Kampf noch Flucht als Option erscheint. Der Körper reagiert, indem er die Aktivität drastisch reduziert, um den Stressor zu „übersehen“. Dies führt zu einem Zustand der Erstarrung oder emotionalen Taubheit, wobei das Nervensystem in eine Art Überlastung gerät.
- Physische Anzeichen: Starre, Kältegefühle, verlangsamte Herzfrequenz.
- Mentale Anzeichen: Gefühl der Hilflosigkeit, Dissoziation, emotionale Taubheit.
4. People Pleasing (Gefallen)
Die People-Pleasing-Reaktion, auch als „Fawn Response“ bekannt, ist eine Strategie, bei der man versucht, den Stressor zu besänftigen, indem man die eigenen Bedürfnisse zugunsten der Bedürfnisse anderer unterdrückt. Diese Reaktion ist häufig in sozialen Kontexten zu beobachten, wo Konflikte vermieden werden sollen. Menschen, die diese Reaktion zeigen, neigen dazu, übermäßig freundlich zu sein, Zustimmung zu suchen und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu unterdrücken.
- Physische Anzeichen: Nervosität, Muskelanspannung, Übelkeit.
- Mentale Anzeichen: Übermäßige Sorge um die Meinungen anderer, Schwierigkeiten, eigene Grenzen zu setzen, Angst vor Ablehnung.
Verstehe Deine Stressreaktionen und reagiere richtig
Das Verständnis dieser vier Stressreaktionen ist entscheidend, um besser auf stressige Situationen zu reagieren und langfristig gesündere Verhaltensmuster zu entwickeln. Wenn wir erkennen, welche Stressreaktion unser Nervensystem aktiviert, können wir gezielt Strategien anwenden, um uns zu regulieren und in einen ruhigeren, ausgeglicheneren Zustand zurückzukehren. Dies kann durch Atemtechniken, Achtsamkeitsübungen oder das bewusste Reflektieren über unsere Reaktionen geschehen.
Für einen tieferen Einblick solltest Du Dir auch meinen Podcast zur Polyvagal Theorie anhören und Dir das Schaubild dazu angucken
4 Kurzimpulse zu den einzelnen Stressreaktionen: